Die Milchstrasse
Jeder, der in einer dunklen, sternklaren Nacht von der nördlichen Hemisphäre aus an den Himmel geschaut hat, kennt das schwach leuchtende Band, das aus dem tiefen Süden im Sternbild Schütze emporsteigt, durch den Adler und Schwan zieht, das Sternbild Cassiopeia umarmt und sich dann allmählich hinter Perseus und Orion verliert, um schließlich wieder im Süden im Sternbild Puppis (Schiffsheck) unter dem Horizont zu verschwinden. Es ist seit undenkbaren Zeiten bekannt. In jeder Mythologie hat es seinen Platz - ein Strom von Licht, eine geheiligte Strasse, ein Pfad der Geister. Für uns ist es die Milchstrasse. Jeder, der die Milchstrasse von der nördlichen Hemisphäre aus gesehen hat, kennt sie als spärlich glimmendes Band. Auf der Südhalbkugel hingegen ist die Milchstrasse viel heller und bei weitem spektakulärer. Vom Schiffsheck zieht sie weiter in das Sternbild Carina (Schiffskiel). Dort ist sie reich strukturiert und hell genug, um sie auch von einem durch Lichtverschmutzung beeinträchtigten Beobachtungsstandort in einer größeren Stadt erkennen zu können. Gleichbleibend hell schlängelt sie sich entlang der Sterne des südlichen Kreuzes (Crux), wo durch eine davor liegende Staub- und Gaswolke - den Kohlensack - sozusagen ein "Stück Licht" von ihr verschluckt wird. Von dort aus ist sie durch eine enge, dunkle Gasse zweigeteilt und zieht durch das große Sternbild Centaurus, gewinnt im Schwanz des Skorpions an Glanz und erreicht schließlich den Schützen. Betrachtet man sie gegen einen tief dunklen Himmel, und steht sie nahezu senkrecht über dem Beobachter, so erreicht die Milchstrasse ihre größte Breite (über 30°) im Sternbild Schütze, wo sie immer noch durch ein dunkles Band in zwei Hälften gespalten ist. Dieses Band setzt sich weiter fort, und die Milchstrasse nähert sich nordwärts durch das Sternbild Aquila (Adler) dem Cygnus (Schwan). Die volle Länge des dunklen Bandes läßt sich nur vom Süden aus betrachten. Es ist allgemein bekannt, dass die Milchstrasse im Okular eines Fernrohrs nicht wie ein leuchtendes Band erscheint, sondern sich als eine Ansammlung einer riesigen Menge einzelner Sterne erweist - so zahlreich, dass das Leben eines Menschen nicht ausreichte, um sie alle zu zählen. Sterne in solcher Fülle findet man nur in einem Objekttyp - einer Galaxie.
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Die Milchstrasse (genauer: das Milchstrassensystem) ist eine solche Galaxie, und die einfache Tatsache, dass sie den ganzen Himmel umschließt, zeigt, dass wir mitten in ihr leben. Es ist unsere Galaxie, die wir von den anderen dadurch sprachlich hervorheben, dass wir sie Galaxis nennen. |
Im Jahre 1931 entdeckte
K. Jansky die Radioemission aus der Richtung des Schützen. Nicht lange danach
wurden schon die ersten Radiokarten des Himmels angefertigt. Diese Karten
zeigten u.a. ein Band, das der Milchstrasse genau folgte. Die Mechanismen, die
sichtbares Licht bzw. Radiostrahlung erzeugen, sind grundverschieden, und nur
wenige kosmische Objekte produzieren beides in vergleichbaren Beträgen. Am nördlichen
Himmel fand man nur eine schwache Radioemission, die aber in Richtung
Sagittarius beträchtlich anschwoll. Der Unterschied zwischen "Radio-Galaxis"
und optisch sichtbarer Milchstrasse war einfach dadurch gegeben, dass die
Radiowellen die Dunkelwolken ungehindert durchdringen können. Diese zeigten,
wie die Galaxis aussähe, wenn wir alle Sterne sehen könnten, und lenkten
unsere Aufmerksamkeit auf das eigentliche Zentrum der Milchstrasse (galaktisches
Zentrum), Sagittarius A. Mit der Entwicklung der Radioastronomie begannen
detailliertere Beobachtungen. Eine der wichtigsten war das Studium der Strahlung
von interstellaren Wasserstoffatomen bei einer Wellenlänge von 21 cm.
Radioastronomische Untersuchungen dieser 21-cm-linie können Gaswolken
"sichtbar" machen, die mit den Spiralarmen assoziiert sind - unabhängig
davon, ob sie hinter (optisch) undurchsichtigen Wolken stehen oder nicht. So
konnten die Radioastronomen eine Karte erstellen, die erstmals die Spiralarme
der Galaxis zeigte. Dabei gab sich aber die Spiralstruktur des
Milchstrassensystems nur höchst verschwommen zu erkennen, und es bedurfte viel
Erfahrung und Phantasie, um den Verlauf der Spiralarme in die Karten einzeichnen
zu können. Unlängst wurden von Australien aus bei der Strahlung des weit
weniger häufig vorkommenden Gases Kohlenmonoxid ähnliche Beobachtungen
angestellt, die ein viel klareres Bild ergaben, das zeigt, dass unsere Galaxis
vier Spiralarme besitzt. Der Blick von unserem Standort inmitten der
galaktischen Scheibe aus wird uns niemals in die Lage versetzen können, die
Struktur der Galaxis vollständig zu enthüllen. Was möglich ist, ist eine
Beschreibung, die zum Teil von Studien unserer eigenen und teilweise von unseren
Kenntnissen über andere Spiralgalaxien stammt. Etwa 100 Milliarden Sterne bevölkern
die Galaxis, was etwas über dem Durchschnitt für Spiralgalaxien liegt. Dies
entspricht etwa der Zahl der Reiskörner, die man in das Volumen einer Kirche
mittlerer Größe packen kann. Das Milchstrassensystem besteht jedoch zum größten
Teil aus leerem Raum: Wenn wir ein Modell bauen würden, in dem die Sterne durch
Reiskörner dargestellt sind, dann müßten wir etwa eine Handvoll auf die FIäche
Mitteleuropas verstreuen, um die Sterndichte in der Sonnenumgebung nachzubilden.
Der Durchmesser des gesamten Milchstrassenmodells wäre in diesem Maßstab etwa
400000 km, etwas mehr als die Entfernung Erde-Mond. In astronomischen Längeneinheiten
ausgedrückt, beträgt der Durchmesser der Galaxis nahezu 100000 Lichtjahre,
wobei die äußere Grenze allerdings nicht gut definiert ist, und wir leben etwa
28000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt.
Der Bauch von Sternen ("bulge") im zentralen Teil enthält diejenigen Sterne, die sich relativ früh in der Geschichte der Galaxis gebildet haben, obwohl in einigen Gebieten im galaktischen Zentrum auch heute noch Sternentstehung stattfindet. Die alten Sterne im "bulge" haben sich von der Hauptreihe wegentwickelt. Viele von ihnen sind zu kühlen Riesen geworden, während solche, die Hauptreihensterne geblieben sind, klein (Zwergsterne) und auch relativ kühl sind. Deswegen ist ihre mittlere Farbe gelb. Sie werden gemeinsam als Population-II-Sterne bezeichnet. Im Kontrast dazu ist die galaktische Scheibe, die sich bis über die Umlaufbahn der Sonne hinaus erstreckt und die Spiralarme enthält, eine Stätte der Sternentstehung, wie man es im Orion-Nebel und ähnlichen Nebelgebilden (z.B. im Rho-Ophiuchi-Dunkelwolken-System) beobachten kann. Das Licht der jungen Sterne in der Scheibe wird von den heißesten, hellsten Vertretern beherrscht und ist deswegen im Mittel blau (u.a. O-Sterne, B-Sterne; OB-Assoziationen). Diese Sorte nennen wir Population-I-Sterne. Zwischen den Sternen und insbesondere zwischen den gekrümmten Spiralarmen finden sich Wolken interstellarer Materie, die noch für viele Milliarden Jahre das Grundmaterial zur Sternbildung liefern werden.
ähnlich wie die Planeten unserer Sonne umrunden, so laufen auch die Sterne unserer Galaxis um das Milchstrassenzentrum. Jeder Stern hat dabei eine Rotationsgeschwindigkeit, die ihm von der Masse an Material (Sterne, Gas und unsichtbare Objekte, wie Schwarze Löcher) innerhalb seines Orbits diktiert wird. Da die Bahnen nicht genau kreisförmig sind, vermischen sich die Sterne untereinander. Im "bulge" sind einige Bahnen elliptisch, andere schwingen in komplexer Weise auf und nieder (Schnelläufer) - vergleichbar mit einer Sinus-Schwingung, die man auf einen leicht gestauchten Zylinder zu malen versucht. Unsere Sonne umkreist das galaktische Zentrum mit einer Geschwindigkeit von etwa 220 km/s und benötigt deshalb für einen Umlauf etwa 200 Millionen Jahre. Diesen Zeitraum nennt man das "kosmisches Jahr". Seit ihrer Entstehung vor etwa 6 Milliarden Jahren hat sie das Zentrum mit ihren Planeten demnach ungefähr 30mal umrundet. Wenn wir die Bewegungen der äußersten Sterne unserer Galaxis messen, können wir ihre Gesamtmasse bestimmen. Diese Messung ist jedoch nur teilweise durchführbar, da wir Geschwindigkeiten nur in Richtung der Sichtlinie (mit Hilfe des Doppler-Effekts) bestimmen können und nicht senkrecht dazu. Eine weitere Komplikation ist unsere eigene Bewegung, die ihrerseits nicht genau bekannt ist. Verschiedene statistische Analysen der gemessenen Bewegungen schlagen für die Masse der Galaxis das Billionenfache (1000 Milliarden) der Sonnenmasse vor, was etwa das Zehnfache dessen ist, was man aus der sichtbaren galaktischen Materie schließt. Ob die "Extramasse" wirklich existiert (dunkle Materie) oder nur eine statistische Besonderheit ist, und welches Material dafür verantwortlich sein könnte, wenn die Massenschätzung doch stimmt, verbleibt als ungelöstes Forschungsthema.
Typ (nach Hubble) |
Sb |
Durchmesser in der galaktischen Ebene |
100000 Lichtjahre |
Dicke im Kernbereich |
16000 Lichtjahre |
Dicke in den äußeren Regionen der Scheibe |
3000 Lichtjahre |
Durchmesser des galaktischen Halos |
160000 Lichtjahre |
Abstand der Sonne vom galaktischen Zentrum |
28000 Lichtjahre |
von der galaktischen Ebene |
45 Lichtjahre (nördlich) |
Gesamtmasse |
1,4·1012 Sonnenmassen |
Masse der Scheibe |
2·1011 Sonnenmassen |
mittlere Dichte |
0,1 Sonnenmassen pro Kubikparsec |
Massenanteile in der galaktischen Scheibe (M = absolute Helligkeit) |
|
Sterne mit M< +3 |
10% |
Sterne mit M> +3 |
80% |
interstellares Gas |
10% |
interstellarer Staub |
0,1% |
|
|
absolute visuelle Helligkeit |
-20m,5 |
Kugelsternhaufen (geschätzte Zahl) |
300 |
offene Sternhaufen (geschätzt) |
15000 |
Assoziationen (geschätzt) |
700 |
Rotationsgeschwindigkeit am Ort der Sonne |
220 km/s |
Rotationsdauer am Ort der Sonne |
200·106 Jahre |
Alter der Galaxis |
ca. 1010 Jahre |